Christine
Knappert
Die
Autorin ist Dipl.-Sozialarbeiterin
und Mediatorin, Dozentin/Referentin für Familienmediation im Allgemeinen
Sozialen Dienst, Bad Salzuflen.
Wenn ein Elternteil nicht will, kann man nichts machen!?
Welche
Chancen bietet das neue Kindschaftsrechtsreformgesetz für Jugendämter und
Familiengerichte, der bisher so erfolgreichen " Kopfschüttel -Strategie"
eines Elternteils ein Ende zu setzen?
Der Beitrag
macht deutlich, daß die neue gesetzliche Lage im Kindschaftsrecht die Chance
bietet, dem kindeswohlgefährdenden Machtkampf der Eltern Einhalt zu gebieten,
wenn Jugendhilfe und Justiz es schaffen, neue Ansätze für ihr
Selbst-
und Funktionsverständnis zu entwickeln.
Jugendämter
und Familiengerichte werden in Scheidungsverfahren immer wieder damit
konfrontiert, daß sich ein Elternteil kooperativ im Sinne einer friedlichen Lösung
verhält und der andere. meistens derjenige, der sich bereits als Sieger fühlt,
die härtere Gangart mit dem Ziel .Ich will gewinnen" favorisiert.
Die Praxis der Rechtsprechung beweist leider, daß
der Elternteil besser dran ist, der die extremere Position einnimmt und den längeren
Atem hat. Im Klartext gesprochen: Derjenige Elternteil, der "nein"
sagt zur Beratung. der .nein" sagt zur gemeinsamen Optionsentwicklung. der
letztendlich auch "nein" sagt und mit dem Kopf schüttelt, wenn es um
gemeinsame Elternverantwortung, um den Erhalt der Eltern-Kind-Beziehung zum
getrenntlebenden Elternteil geht, dieser Elternteil bekommt in der Regel zur
Belohnung für seine Gewinner-Verlierer-Strategie das alleinige Sorgerecht übertragen.
Dabei wissen die professionellen Scheidungsbegleiter,
daß ein Machteingriff durch das Gericht, der zum "Rausschmiß" eines
Elternteils führt und dadurch die Siegerposition des anderen bestärkt,
konfliktverschärfend wirkt. So eine Entscheidung berücksichtigt weder
Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen noch sichert sie das
Kindeswohl. Es ist eine Entscheidung, die absolut erwachsenenorientiert ist, die
das Positionsgerangel und den Kampf eines Elternteils unterstützt und bestätigt
und damit die zukünftige kooperative Elternbeziehung im Interesse des Kindes
unmöglich macht.
Das Machtungleichgewicht wird mit Hilfe einer
gerichtlichen Entscheidung verstärkt, und der Machtkampf wird mit verheerenden
Folgen für alle Beteiligten, insbesondere jedoch für die betroffenen Kinder
und Jugendlichen, weitergeführt, in der Regel mit verschärften Methoden. Die
Unberechenbarkeit des Verhaltens des Sorgerechtsinhabers nimmt immens zu, das
Macht-Ohnmachts-Gefälle ist perfekt. Die Machtinstanz
"Sorgerechtsbesitzer" kann aufgrund ihrer Machtüberlegenheit ihre Maßnahmen
gegen den Willen des "Nichtsorgerechtsbesitzers" durchsetzen.
Das
Machtgefälle in der Praxis
Einige Beispiele aus Elterngesprächen und
Elternbriefen zeigen es deutlich:
"Wie
Du sicherlich noch weißt, habe ich das Sorgerecht für die Kinder und somit
auch zu entscheiden, wann, ob und für wie lange die Kinder mit Dir verreisen können.
Es ist keinesfalls üblich, daß ein Vater seine Kinder mit in den Urlaub nehmen
darf, sondern ein Entgegenkommen meinerseits.“
oder
„Falls
Du in "Begleitung " nach ... kommst, werde ich dieses Angebot an Dich
(Umgang zwischen Vater und Kind 4.i~Anm. d. V.) sofort zurücknehmen."
oder
"Es
tut mir sehr leid für Euch, aber ohne, daß Euer Verhalten sich ändert, bzw.
Eure Einstellung sich ändert, werde ich meine Konsequenzen nicht ändern.
Anders als durch klare Worte scheint Ihr nichts zu begreifen. "
(Konsequenz: Aussetzen des Umgangs zwischen Kind und seinen Großeltern, Anm. d.
V.)
oder
„Ich erwarte von Dir daß Du meine Erziehung nicht unterläufst und endgültig
innerhalb Deiner Anverwandtschaft durchsetzt...
Ebenso
erwarte ich, daß das Kind weder Fleisch noch Wurst bekommt. Du untergräbst
damit unsere (die der Kindesmutter und des sozialen Vaters -
Anm. d. V) vegetarische Erziehungs und Ernährungshaltung. Sollten sich zukünftig
für das Kind die Irritationen mehren, sehe ich mich gezwungen, die
Besuchskontakte einzuschränken. Ich bitte um Stellungnahme! "
oder
„Eine Beratung, in der weitere
Verhaltensregeln! besprochen würden, ist sinnvoll, um die Spannungen abzubauen,
unter denen das Kind und wir (damit gemeint ist die Mutter und ihr neuer
Lebenspartner, Anm. d. V.) leiden. Auf eine Umgangsregelung wird sie mit
Sicherheit keinen Einfli4ß haben, da meine Vorstellungen zu jenem Kontext in
sich geschlossen und zur Genüge dargelegt worden sind. Der getroffene
Beschluß entspricht dem Maximum des Wohles von ... ! "
Reaktionen
auf das Beratungsangebot
Vor diesem Erfahrungshintergrund bietet das Jugendamt
Müttern und Vätern im Rahmen der Mitwirkungspflicht gem. § 50 SGB VIII eine
Beratung im Sinne des § 17 SGB VIII an. Bekanntlich
reagieren Eltern unterschiedlich auf dieses Leistungsangebot:
1.
Eltern
kommen nicht, weil sie es nicht wollen
2.
Eltern
kommen nicht, weil sie sich bereits geeinigt haben und es keinen Beratungsbedarf
gibt
3.
Eltern
kommen, informieren sich. teilen mit, daß sie bereits eine Entscheidung
getroffen haben und keine Beratung wünschen
4.
Eltern
kommen, wollen Beratung und es klappt!
5.
Eltern
kommen, wollen Beratung und es klappt nicht mit dem einvernehmlichen Konzept.
Sie wollen gerichtliche Entscheidung, in der Hoffnung, daß Ruhe einkehrt
6.
Eltern
kommen und wollen gleich gerichtliche Entscheidung, weil jeder hofft, zu
gewinnen.
7.
Eltern
kommen getrennt, ein Elterteil ist kooperationsbereit, der andere blockt alles
ab, zeigt keinerlei Bereitschaft, im Interesse der Kinder zu kooperieren und
wenn, dann nur zu den eigenen Bedingungen.
Praxisbeispiel
Zum zuletzt Genannten ein kurzes Beispiel aus der
Praxis:
Das Familiengericht informiert das Jugendamt über
die Scheidung der Familie X. Für zwei minderjährige Kinder muss das Sorgerecht
geregelt werden. Das Jugendamt wird gebeten, sich im Rahmen von § 50 SGB VIII
zu äußern. Das Jugendamt lädt beide Elternteile zu einem gemeinsamen Gespräch
ein. Die Mutter ist nicht bereit. Der Vater schon, weil er sich etwas davon
verspricht für den Erhalt der Beziehung zu seinen Kindern. Nach zwei
Einzelgesprächen. jeweils mit Vater und Mutter getrennt, gibt es das erste
gemeinsame Gespräch. In dieser Situation wird deutlich, daß die Mutter das
alleinige Sorgerecht will, der Vater das gemeinsame. Beide haben Berufe. die es
zulassen, sich gut und ausreichend um die Kinder zu kümmern. Die Mutter schüttelt
den Kopf und sagt: "Nein! Ich will das alleinige Sorgerecht! Und mein
Anwalt hat mir gesagt, daß ein Richter nur dem gemeinsamen Sorgerecht zustimmt,
wenn beide Elternteile sich einig sind. Ihre Beratung ist zwar nett gemeint,
wird mich aber sicherlich nicht von meinem Entschluss abbringen. .,
Diese Einstellungen und Verhaltensweisen versetzen
jedem Beratungsangebot den „Todesstoß“. Enttäuschung, Ohnmachtsgefühle
und Wut beim anderen Elternteil, der sich spätestens zu diesem Zeitpunkt als
absoluter Verlierer sieht; Schulterzucken und Hilfslosigkeit bei der beratenden
Person des Jugendamtes. Auch sie muss erkennen, daß ihr Leistungsangebot mit
dem Versuch, die Beteiligten so zu ‑motivieren, daß sie diese Leistung
auch annehmen können, absolut keine Chance hat. Die einzige Möglichkeit in
dieser Situation wäre die Entscheidung einer Machtinstanz (z. B.
Familiengericht), die aufgrund ihrer Machtüberlegenheit ihre Maßnahmen gegen
den Willen des betroffenen Elternteils und im Interesse der Kinder durchsetzt.
Dazu wären allerdings Überlegungen notwendig. die sich tatsächlich in erster
Linie mit der Situation, der Befindlichkeit und den Interessen und Bedürfnissen
der betroffenen Kinder befassen. Das würde bedeuten. daß die Familiengerichte
wie die Jugendämter an dieser Stelle Mut und Zivilcourage, Fachkenntnisse und
soziale Kompetenz beweisen müssten, um kindgerechte Lösungen und
Entscheidungen herbeizuführen. Erst dann wäre die Formulierung
"entspricht dem Wohl des Kindes am besten gerechtfertigt.
Welcher Familienrichter und welche Sozialarbeiterin
traut sich, so konsequent kindorientiert zu handeln?
Reaktionen
der Jugendhilfe
Die häufigste Reaktion von Jugendamtsmitarbeitern
ist die: „Wenn ein Elternteil nicht
will, dann kann man nichts machen!“ Und die Praxiserfahrungen zeigen
eindeutig, daß wesentlich mehr Mütter die Köpfe schütteln und
"nein‑sagen als Väter. Das liegt sicherlich zum einen daran. daß
nach wie vor die Kinder meistens bei den Müttern leben, auch von ihnen
begleitet und versorgt werden und die Mütter daraus den Rechtsanspruch auf das
alleinige Sorgerecht und damit verbunden auch den Anspruch auf Alleinherrschaft
über die Angelegenheiten der Kinder ableiten. Zum anderen zeigen sich diese Väter
von Beginn an kooperativer. weil die Überzeugung: Das Kind braucht die Mutter!
selbstverständlicher ist, als der Glaube daran. daß das Kind auch den Vater
braucht. Außerdem haben Väter ganz einfach weniger Chancen, gegen den Willen
der Mutter das alleinige Sorgerecht zu bekommen. Oft raten sogar auch die Anwälte
den Vätern, gar nicht erst den Antrag auf Übertragung der alleinigen
elterlichen Sorge zu stellen, weil er ja sowieso keine Aussicht auf Erfolg habe.
Statt dessen beantragen sie häufiger das gemeinsame Sorgerecht und ersatzweise
für den Fall, daß die Mutter nicht zustimmt, das alleinige. Auch hier zeigt
die Praxis. wenn die Mutter nicht will, bekommt sie das alleinige Sorgerecht übertragen.
Mit dieser Vormachtstellung der Mütter, häufig noch verstärkt durch das
Verhalten der Anwälte, kommen diese Scheidungseltern zum ersten Gespräch ins
Jugendamt.
Verunsicherung, Überforderung und Angst vor der Auseinandersetzung mit dem sich verweigernden Elternteil auf der einen Seite und die Hoffnungslosigkeit, bedingt durch die derzeitige (Sorge-) Rechtsprechung auf der anderen Seite, "verführen" die Mitarbeiter des Jugendamtes, sich auf ihre Beraterposition zurückzuziehen und mit den allgemeingültigen Prinzipien der Beratungsarbeit, wie z. B. Freiwilligkeit, Eigenverantwortlichkeit, ihre Zurückhaltung zu rechtfertigen. Ein bitterer Beigeschmack von Unzufriedenheit und Resignation bleibt.
Aufgrund der Erfahrungen mit den Familiengerichten halten sich die Jugendamtsmitarbeiter auch im Rahmen der Mitwirkung gemäß § 50 Abs. 2 KJHG zurück. An dieser Stelle ist das Jugendamt aufgefordert, Position zu bezieht, indem es aus der Perspektive des Kindes tätig wird und auf notwendige Maßnahmen hinweist. Spätestens hier gilt es dann für die Jugendämter, die nächste Hürde zu nehmen, und das ist die Auseinandersetzung mit dem zuständigen Richter. Auch wenn nachweislich eine Entscheidung gegen den Willen des nicht kooperativen Elternteils im Interesse der Kinder von erheblicher Bedeutung wäre, befürchtet der Richter. von der nächsthöheren Instanz korrigiert zu werden, und entscheidet für den "Nein-Sager". Das ist natürlich auch ein Dilemma für die Familienrichter an den Amtsgerichten. Denn solange sie sich nicht sicher sein können, daß sich auch bei den Oberlandesgerichten der Paradigmenwechsel vollzogen hat, bleibt für sie die Situation unberechenbar und schwierig.
Die Äußerungen der Jugendämter, die im Rahmen des § 50 Abs. 2 SGB VIII abgegeben werden, dokumentieren die vornehme Beraterzurückhaltung der Jugendamtsmitarbeiter.
Beispiele:
1.
„Das Jugendamt sieht sich zur Zeit außerstande, zwischen den beiden
Elternteilen zu agieren. Aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit ist das
Verhältnis zwischen den beiden Elternteilen von einem großen Misstrauen
und gegenseitigen Vorwürfen geprägt. Aus den genannten Gründen scheint die
Herbeiführung einer gerichtlichen Regelung notwendig.“
oder
2.
„Das Verhältnis zwischen den beiden Parteien ist total zerrüttet.
Eine Einigung ohne gerichtliche Regelung erscheint unseres Erachtens aber auch
nicht möglich.“
oder
3.
„Es konnten keine gemeinsamen Absprachen getroffen werden, da eine
Verständigung zwischen den Eheleuten, die Grundlage für gemeinsame Absprachen
ist, zur Zeit nicht möglich ist.“
Kein Wort darüber, wie es den Kindern geht, kein
Word darüber, weiche Maßnahmen im Interesse der Kinder eingeleitet werden müssten,
kein Wort darüber, daß es nicht nur ein Elternrecht, sondern auch eine
Elternpflicht gibt. Von den erwähnten Beratungsprinzipien ausgehend, sind die
Formulierungen bei oberflächlicher Betrachtungsweise sicherlich korrekt. Es
geht nur leider nicht mehr um Beratung. Denn diese ist aufgrund der
Verweigerungshaltung eines Elternteils unmöglich geworden.
Machtinstanz
Familiengericht ?
Deshalb muss es möglich werden, daß dieses
Machtungleichgewicht, was beratungsverhindernd ist, von seiten der Justiz
ausgeglichen wird, dadurch, daß Verweigerer auch entmachtet werden können. mit
Hilfe eines Machtwortes durch die Machtinstanz ..Familiengericht".
Bisher bestätigt, wie bereits oben beschrieben, das
Gericht durch seine Entscheidungen den Machtanspruch eines Elternteils nach dem
Gewinner-Verlierer-Prinzip und ist nicht in der Lage, diese Gewinner-Verlierer-Situation
langfristig aufzulösen. So wird der Machtkampf zwischen Männern und Frauen, Müttern
und Vätern mit verheerenden Folgen für alle Beteiligten, insbesondere jedoch für
die Kinder, fortgeführt. Es soll an dieser Stelle nicht näher auf die Folgen
eingegangen werden, da bereits Funk und Fernsehen, Fachbücher und Zeitschriften
regelmäßig über die einleuchtenden Erkenntnisse der Familienforschung und die
Familienrechtspraxis berichten. Auch die Darstellung der unterschiedlichen
Sichtweise zwischen Justiz und Jugendhilfe trägt zwar zum gegenseitigen Verständnis
bei, verändert aber zu wenig in der konkreten Rechtspraxis. Es besteht sogar
die Gefahr, daß das System der professionellen Scheidungsbegleiter so mit
sich selbst beschäftigt ist, daß es sich immer mehr von der Lebenswelt. den
wirklichen Interessen und Bedürfnissen von Scheidungskindern und deren Eltern
entfernt.
Weiche
Chancen bietet das KindRG im Umgang mit kopfschüttelnden Elternteilen?
Verstärkung
der Intention des KJHG
Die Frage drängt sich auf, die Antwort aus der Sicht
des Gesetzgebers liegt nahe: Das KindRG bietet gute Chancen; ob sie genutzt
werden, hängt davon ab, inwieweit die Familiengerichte und die Jugendhilfe den
neuen Anspruch des Gesetzes auch umsetzen. Die Intention des Gesetzgebers ist
eindeutig: Mehr Kindorientierung und Elternautonomie und weniger staatlicher
Eingriff !
Es ist sehr erfreulich und gibt Hoffnung, zukünftig
mit einem Gesetz zu ]eben, das zumindest beabsichtigt, mehr als bisher die
Rechte von Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen, das die Pflichten statt
der Rechte der Eltern in den Vordergrund stellt und die Eingriffsmöglichkeiten
des Staates einschränkt: so wenig staatlicher Eingriff wie nötig, so viel
Elternautonomie wie möglich! Dieses neue Gesetz knüpft an und verstärkt die
Intention des SGB VIII, wegzuführen von dem "ordnungsrechtlichen
Instrumentarium" hin zur "präventivorientierten Dienstleistung".
Die Voraussetzungen. daß sich dieser Paradigmenwechsel mit Inkrafttreten des
neuen Kindschaftsrechtsreformgesetzes weiter vollzieht, sind geschaffen.
Fraglich ist, ob die darnit verbundenen Chancen, tatsächlich mehr als bisher
kindorientiert zu handeln, auch entsprechend genutzt werden.
Die Erwartungen an Jugendämter und Familiengerichte
sind hoch. Schaffen sie es, die neuen Gestaltungsmöglichkeiten im Interesse von
Kindern und Jugendlichen zu nutzen?
Vorrang
der Beratung vor gerichtlicher Entscheidung
Die Umsetzung kann nur klappen, wenn alle Beteiligten
begreifen und erkennen, daß es zukünftig nur noch ein alleiniges Kriterium
geben wird für justitielle und präventive Interventionen: das Kindeswohl! Auch
wenn der Begriff in Gefahr ist, zur überall verwendbaren nichtssagenden Worthülse
zu verkommen, weiß inzwischen wohl jeder, daß damit mehr Kindorientierung als
bisher gemeint ist, was bedeutet, weniger gerichtliche Entscheidungen und mehr
Beratungsangebote der Jugendhilfe aus Kindesperspektive.
Das Gesetz schreibt vor, daß in jedem Verfahren. das
die Person des Kindes betrifft, das Gericht verpflichtet ist, die Eltern auf die
Beratungsmöglichkeiten der Jugendhilfe hinzuweisen. Ziel dieser Beratung ist
die "Entwicklung eines einvernehmlichen Konzeptes für die Wahrnehmung der
elterlichen Sorge und der elterlichen Verantwortung." Die Beratung hat also
Vorrang vor einer richterlichen Entscheidung.
Ebenso ist das Jugendamt durch das neue Gesetz
verpflichtet, den Eltern ein Beratungsangebot zu machen, "wenn
gemeinschaftliche Kinder vorhanden sind". Das Jugendamt ist also
aufgefordert, seine Rolle und Funktion weiterhin im Sinne des SGB VIII zu verändern:
Freiwilligkeit statt gesetzlicher Zwangsunterstützung und Kindorientierung
statt Erwachsenenorientierung. Das hat zur Folge, daß die Beratungsaufgaben der
Jugendämter quantitativ und qualitativ zunehmen werden. Deshalb müssen sie
sich Gedanken machen über neue Konzepte, Beratungsmethoden, Öffentlichkeitsarbeit.
Dabei gilt es zunächst, die vorhandenen Möglichkeiten. die finanziellen und
personellen Ressourcen der Jugendämter zu nutzen und ggf. durch
Umstrukturierung und Qualifizierung die Leistungsangebote attraktiver und leicht
erreichbar zu machen.
Standortbestimmung
der öffentlichen Jugendhilfe
Es ist zu schaffen, wenn das Selbstverständnis der
öffentlichen Jugendhilfe eindeutig ist. Um das zu erreichen, gilt es folgende
Fragen zu klären:
Wie viel ordnungsrechtliches Eingreifen,
Beaufsichtigen, Kontrollieren wird es zukünftig geben? Mit wie viel "versöhnungsorientierter
Neutralität" werden sich die Berater zukünftig zurückhalten? Wie hoch
wird der Anteil der autoritativen Fürsorglichkeit sein? Weichen Stellenwert
bekommt zukünftig die Sozialleistungsfunktion bzw. das sozialpädagogische
Handeln? Wie will das Jugendamt demnächst seiner Leistungsverpflichtung
nachkommen? Wird es alle Leistungen selbst erbringen?
Das SGB VIII ist elternorientiert. Die Jugendhilfe muss
sich damit auseinandersetzen, wie ernst sie es mit der Kindorientierung nehmen
will. Sie muss ein Konzept entwickeln, das Eltern Leistungen anbietet, um
Kindeswohl zu sichern. Diesem Konzept muss sie sich verpflichtet fühlen und überlegen,
wie es tagtäglich umzusetzen ist. Die öffentliche Jugendhilfe wird sich immer
wieder bewusst machen müssen, wessen Interessen sie gerade vertritt und wessen
Interessen sie zu vertreten hat.
Es geht um eine Standortbestimmung.
Das KindRG löst das Verbundsystem auf. Demnach
werden ab dem 1. Juli 1998 Eltern geschieden, ohne daß zwangsläufig über das
Sorgerecht mit entschieden werden muss. Die Eltern bekommen dadurch die Möglichkeit,
das Sorgerecht ohne Einmischung von Jugendämtern und Gerichten zu regeln Die
Eltern teilen dem Familiengericht mit, ob gemeinsame minderjährige Kinder
vorhanden sind. Das Familiengericht ist verpflichtet, wie bereits erwähnt, die
Eltern auf die Beratungsmöglichkeiten der Jugendhilfe hinzuweisen, es muss dem
Jugendamt die Anhängigkeit des Verfahrens mitteilen. Das Jugendamt wiederum muss
dem Anspruch der Eltern auf Beratung gerecht werden und ihnen ein
Leistungsangebot machen.
Ausgestaltung
der gemeinsamen Sorge
Es ist also beabsichtigt, den Eltern bei Scheidung
das gemeinsame Sorgerecht zu belassen. Für den Fall, daß es Schwierigkeiten
gibt, haben sie die Möglichkeit sich durch das Jugendamt oder andere
Beratungsstellen der Jugendhilfe begleiten zu lassen, Vereinbarungen über die
Alltagssorge zu treffen und bei Bedarf alle weiteren wichtigen Anliegen, die die
Kinder und Jugendlichen betreffen, einvernehmlich und eigenverantwortlich zu
regeln. Hier sind zukünftig Beratungsmethoden gefragt, die in Richtung
Mediation und andere eigenverantwortliche Konfliktlösungsmöglichkeiten gehen
Die klassische Mitwirkung im Rahmen von § 50 SGB VIII entfällt, statt dessen
wird es mehr Elternvereinbarungen und Elternverträge geben. Erleichterung gib
es möglicherweise auch dadurch, daß es nicht mehr um die vorrangige Frage
geht, wer das Sorgerecht bekommt. So mit sind in diesem Kontext die
Voraussetzungen sicher gleichmäßiger verteilt was die Chancen für eine
einvernehmliche Regelung der Alltagsfragen durch die Beratung erheblich
steigert.
Alleinsorge
möglich, aber nicht wie bisher!
Auch das neue Kindschaftsreformgesetz bietet zukünftig
die Möglichkeit, das alleinige Sorgerecht zu beantragen "Dann läuft doch
alles wie bisher" könnte man sagen. Das ist ein Trugschluss.
Denn nehmen die Jugendämter und Familiengerichte die
Kindorientierung wirklich ernst. müssen umfassende, über den bisherigen
Anspruch hinausgehende Beratungskonzepte entwickelt und umgesetzt werden.
Es wäre fatal, wenn hier Jugendämter und
Familiengerichte in das gleiche bisherige Fahrwasser geraten würden. Sollten
alle Beratungsversuche scheitern und beide Elternteile eine Entscheidung durch
das Gericht wollen, ist es die Aufgabe der Jugendämter, den § 50 Abs. 2 SGB
VIII und ggf. auch § 50 Abs. 3 SGB VIB kompetent und konsequent anzuwenden.
Das bedeutet, daß die "Kopfschüttel-Strategie"
ab dem 1. Juli 1998 keine Aussicht auf Erfolg mehr haben darf, und wenn Anträge
auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge ohne Einverständnis des
anderen Elternteils gestellt werden, diese immer aus der Perspektive des Kindes
begründet werden müssen. Denn ab jetzt zählt auch hier als einziges Kriterium
das Kindeswohl und nicht mehr der Wille eines Elternteils.
Das Recht des Kindes auf Umgang und der
Beratungsanspruch von Kindern und Jugendlichen bei der Ausübung des
Umgangsrechts unterstreichen die Stärkung
der Rechtsposition von Kindern und Jugendlichen durch
dieses Gesetz. Für die Jugendämter bedeutet es, sich auch diesbezüglich fit
zu machen und über entsprechendes Handwerkszeug im Umgang mit Kindern und
Jugendlichen in diesen Situationen zu verfügen. Der ganze Komplex
"Umgangsrecht und Umgangsregelung erfordert eine hohe Beratungskompetenz
von seiten der Mitarbeiter der Jugendämter. Da gibt es sicherlich noch einen
enormen Fortbildungsbedarf.
Das KindRG tritt zu einem Zeitpunkt in Kraft, in dem
Finanznöte Kürzungen und Umstrukturierungen notwendig machen.
Reformen werden zwar begrüßt, dürfen aber nichts
kosten. So besteht die größte Sorge darin, daß die guten Ansätze, die das
KindRG bietet, nur halbherzig umgesetzt werden können.
Es ist von der Justiz und der Jugendhilfe sicherzustellen, daß diese
langjährig kontrovers diskutierte Reform nicht zu einer Mogelpackung verkommt,
sondern Bewusstsein so verändert, daß Bedürfnisse und Rechte von Kindern und
Jugendlichen in unserer Gesellschaft zukünftig einen bedeutend höheren
Stellenwert erhalten.