Judy S.Wallerstein
Langzeitwirkungen der elterlichen
Ehescheidung auf Kinder
Ein erster Bericht einer 25‑Jahres‑Katamnese
Vortrag am Frankfurter
Psychoanalytischen Institut, 30.5.2000
Dies ist der erste Bericht einer 25‑Jahres
Katamnese der Reaktionen von Kindern und Jugendlichen auf die Trennung und
Scheidung ihrer Eltern. Anfangs der Siebzigerjahre begann die Scheidungsrate in
den USA stark anzusteigen. Die vorherrschende Meinung war damals, dass
Scheidung eine vorübergehende, kleine Umwälzung im Leben eines Kindes sei.
Unsere Studie ist einmalig in ihrer Art und in ihrer Dauer. Ihre Ergebnisse
basieren auf Hunderten von Einzelinterviews mit 130 Kindern und beiden
Elternteilen, die regelmäßig seit dem Entschluss zur Trennung stattfanden.
Meine Kollegen und ich kennen diese Kinder gut. So sagte mir kürzlich eine
28-jährige Frau: "Sie kennen mich besser als irgend jemand auf dieser
Welt." Ich bin, in der Tat, so etwas wie eine ältere
"Stammesangehörige", die während der wichtigsten Schlachten ihres
Lebens anwesend war, die ihre Lebensgeschichten mit ihren frühesten
phantasierten Träumen und Ängsten bei sich bewahrt. Frühere Ergebnisse wurden
in zwei Büchern berichtet, die in 10 Sprachen übersetzt sowie in beinahe 100
Zeitschriftenartikeln veröffentlicht worden sind. Diese Berichte haben sowohl
hier in den USA als auch im Ausland einen großen Einfluss ausgeübt, indem sie
auf die psychologischen, ökonomischen und sozialen Langzeitwirkungen des
Zusammenbruchs der elterlichen Beziehung auf die Kinder hinwiesen. Die 25‑
Jahres Katamnese wurde von Professor Julia Lewis und mir durchgeführt. Diese
Arbeit ist von uns beiden gemeinsam verfasst worden.
Es existiert eine tiefe Kluft zwischen der
Perspektive des juristischen Systems repräsentiert durch Richter, Anwälte,
Mediatoren und Mitarbeiter im Gesund-heitswesen einerseits, und dem Kind
andererseits, das im Verfahren unsichtbar und ohne eigene Stimme bleibt.
Tragischerweise ist das Kind am meisten von den Entscheidungen betroffen, bei
denen es nichts zu sagen hat und durch seine Eltern vertreten wird, die meist
seine Vorlieben und Wünsche in ihren Planungen nicht berücksichtigen. Die
beruflich mit diesen Fragen befaßten Richter, Anwälte, Ärzte und Mediatoren
führen keine katamnestischen Untersuchungen durch, um die Auswirkungen ihres
Tuns zu untersuchen. Eine falsche Politik, schlechte Ratschläge, fehlerhafte
Entscheidungen und Gerichtsurteile oder ausgehandelte Vereinbarungen, die ihren
Zweck verfehlen, können jahrelang verborgen bleiben, weil ihre Ergebnisse nicht
beleuchtet und geprüft werden.
Doch nun, nach 25 Jahren, existiert eine solche
Beurteilungsmöglichkeit. Die Kinder, die durch das System zur Stummheit
verurteilt wurden, verkünden uns nun
ihr Urteil. Es ist an uns, ihnen zuzuhören. Diese nun erwachsenen Kinder
konnten sich uns gegenüber klar und eloquent äußern. Um einige der
Schlussfolgerungen hier vorwegzunehmen: Die Ergebnisse zeigen, dass es uns
bisher kaum gelungen ist, ihren Interessen zu dienen und sie zu schützen.
Möglicherweise haben wir eine falsche Richtung eingeschlagen.
Wir berichten hier von
den jüngsten Kindern unserer Stichprobe, die heute zwischen 27 und 32 Jahren
alt sind und die zwischen 2 1/2 und 6 Jahren alt waren, als die Ehe der Eltern
auseinanderbrach. Ungefähr die Hälfte der Kinder, die in diesem Land von einer
Ehescheidung betroffen sind, gehören dieser Altersgruppe an. Wir haben für
unseren ersten Bericht die jüngsten Kinder ausgewählt, weil sie die
verletzbarsten sind. Verglichen mit älteren Kindern haben sie ein weitaus
größeres Bedürfnis nach emotionaler Zuwendung und physischem Behütetsein durch
die Familienstruktur. Sie sind weit weniger dazu fähig, sich selbst zu trösten
oder anderswo Hilfe zu holen. Außerdem verbringen sie wegen ihres jungen Alters
zum Zeitpunkt der Scheidung, die meiste Zeit ihres Aufwachsens innerhalb einer
geschiedenen oder wieder verheirateten Familie.
Wie alle Kinder dieser
Studie, wurden sie nach einer Voruntersuchung nur in die Studie aufgenommen,
wenn sie sich vor dem Zusammenbruch der Ehe auf einem normalen
Entwicklungsstand befanden. Aufgrund dieses Kriteriums wurden viele hoch
konflikthafte Familien ausgeschlossen, deren Kinder sich oft schon Jahre vor
der Scheidung in großen Schwierigkeiten befunden hatten. Diejenigen, die in
die Studie aufgenommen wurden, gehörten einer psychologisch robusten Gruppe an,
die trotz der Jahre, in denen sie eine scheiternde Ehe miterlebten keine
psychologische Hilfe gebraucht hatten. Um so auffallender sind deshalb die
Langzeitwirkungen, über die wir hier berichten.
Die Studie enthielt
keine psychologische Behandlung. Wir waren daran interessiert, den natürlichen
Fortgang der Erfahrungen der Kinder unter relativ günstigen sozialen und
ökonomischen Bedingungen zu verfolgen. Die Kinder stammten aus der Mittelklasse
in Nordkalifornien. Ihre Eltern verfügten über eine gute Bildung. Ein Viertel
der Väter und einige der Mütter hatten akademische Titel in Jura, Medizin oder
Ökonomie. Zum 25‑Jahre Katamnesezeitpunkt erreichten wir 85 % der ursprünglichen
Gruppe. Wir wenden uns in dieser Arbeit den 26 Kindem zu, die bei der
Scheidung zwischen 2 1/2 und 6 Jahren alt waren und die sich nun an der
Schwelle zum Erwachsensein, im Übergang in das vierte Lebensjahrzehnt
befinden. Indem wir ihre Worte und Perspektiven verwenden, werden wir versuchen
dem nachzugehen, was ihnen zugestossen ist, wo sie sich heute befinden und wie
sie zum heutigen Zustand gelangt sind.
Um
unsere frühesten Ergebnisse kurz zu rekapitulieren: Als wir diesen kleinen
Kindern zum Zeitpunkt der Ehescheidung zum erstenmal begegneten, waren sie von
der Angst gequält, von beiden Eltern verlassen zu werden. Sie waren innerlich
zu dem Urteil gekommen, dass ein Elternteil, das seinen Partner verlassen kann,
auch dazu fähig ist, ein Kind zu verlassen. Sie litten unter der Angst zu
verhungern, eines Morgens in einem verlassenen Haus aufzuwachen oder vom
Kindergarten heimzukommen und niemanden vorzufinden. Die Welt war für sie
unberechenbar und unzuverlässig geworden, zu einem Ort voller Gefahren, in dem
man nicht mal den engsten Beziehungen zutrauen kann, dass sie stabil und
zuverlässig bleiben.
Und in der Tat, als
die Nachscheidungsfamilie Form annahm, sah die Welt weitgehend so aus, wie sie
es befürchtet hatten. Ein Elternteil, meist der Vater, war weggegangen, und die
Mutter, die in vielen Familien mit kleinen Kindern nur Teilzeitarbeit
gearbeitet hatte oder gar nicht, arbeitete nun wieder ganztags. Das alles
geschah übergangslos, ohne Abfedern des erlittenen Schlages. Oft nahm die Mutter
auch ihre Ausbildung wieder auf, um sich verwertbare Kompetenzen anzueignen.
Die Einsamkeit dieser Kinder, ihr Gefühl, dass niemand für sie da war, war
überwältigend. Sie wurden Fremden zur Betreuung überlassen, oft in überstürzten
Arrangements oder, was noch schlimmer war, ält8ren Geschwistern, die selbst
noch Kinder waren und die nicht zögerten, Essen zurückzuhalten, zu drohen oder
die Kinder zu schlagen, um die häusliche Routine durchzusetzen. So sehen die
zentralen Erinnerungen dieser Erwachsenen 25 Jahre später aus. Nur wenige
erinnern sich an die intakte Familie. Was blieb, war die Erinnerung an einen
abrupten, plötzlichen Rückgang von Versorgung und Schutz, das Verschwinden
eines Elternteils und die Abwesenheit des anderen für viele Stunden am Tag oder
abends. Karen, die nun 28 Jahre alt ist, war zwischen 3 und 4 während der
Scheidung. Sie sagte uns: "Ich erinnere mich an nichts, außer dass wir
zusammen lebten und dann nicht mehr.
Ich kann mich nicht erinnern, dass irgend jemand mir erklärt hätte, was
geschah."(Dieser Klage begegneten wir immer wieder). "Ich hatte keine
Unterstützung", sagte sie weiter." Ich verbrachte so viel Zeit allein
und versuchte, meine eigene Versorgungsperson zu werden. Aber wie soll man das
als Kind machen? Manchmal sprach ich tagelang nicht ein einziges Wort."
Laura, die nun 29 Jahre alt ist, sagte: "Meine wichtigste Erinnerung an
die Scheidung ist, dass ich
wütend war. Ich fühlte
mich ausgeschlossen und allein.
Meine Mutter arbeitete ganztags und ging zur Schule. Ich war wütend auf sie.
Ich war aber auch auf meinen Vater wütend und überhaupt auf alle. Ich dachte
immer wieder als Kind, dass ich Kinder nie so behandeln würde, wie ich selbst
behandelt worden bin. Was mich wirklich getroffen hat, war weniger die Scheidung
als die Abwesenheit meiner Mutter. Wir waren keine richtige Familie mehr. Ich
konnte mit niemandem sprechen. Ich hatte niemanden."
25
Jahre später erzählten diese jungen Leute einer nach dem anderen traurig von
ihrer verlorenen Kindheit. Sie beschrieben ihre Traurigkeit, ihre hilflose Wut,
ihre Sehnsucht nach jemanden, der sich um sie kümmert, mit ihnen spricht und
mit ihnen spielt. Der weitgehende Verlust von Versorgung und Schutz während der
Jahre des Aufwachsens ist ihr Erbe als Scheidungskinder. Die Fragen, um die es
von professioneller Seite während der Scheidung ging, stellten sich als nicht
so wichtig heraus und hatten keinen nachhaltigen Einfluss auf ihr Leben. Die
Interaktion zwischen den Eltern zur Zeit der Trennung und der Scheidung verblasste
in der Erinnerung. Ob die Abmachungen und Besuchsregelungen verhandelt,
vermittelt oder durch das Gericht verordnet worden waren, wirkte sich in den
Jahren, die der Scheidung folgten, nicht auf die fundamentalen Veränderungen in
ihrem Leben aus. Die damaligen Kinder und heutigen Erwachsenen wären alle tief
erstaunt zu erfahren, dass es irgendwelche Richter, Anwälte, Mediatoren oder
andere gab, die viel Zeit damit verbracht haben, ihre Wünsche und Interessen
angeblich möglichst gut zu berücksichtigen.
Nur diejenigen Kinder,
die Zeugen von Missbrauch oder Gewalt gewesen waren, hatten lebhafte
Erinnerungen an Ereignisse aus der Zeit der elterlichen Zerwürfnisse. Obschon
sie seit ihrer Vorschulzeit keine Gewalt mehr gesehen hatten, beinflussten ihre
damaligen Erfahrungen ihr Leben. Ein junger Mann erzählte von einer ihn
verfolgenden Erinnerung an eine Szene als Fünfjähriger, in der er sich weinend
an eine Wand lehnte, während sein Vater seine Mutter in einem benachbarten Raum
schlug. Er erzählte, dass er seine eigenen Kinder zwar nicht schlägt, aber dass
er von einem unkontrollierbaren Impuls getrieben wird, seinen vierjährigen Sohn
so grausam zu necken, bis sich dieser weinend auf ihn wirft und auf ihn
einschlägt. Junge Frauen, die aus dieser Untergruppe gewalttätiger Familien
stammen, wurden immer wieder in gewalttätige Männerbeziehungen verwickelt,
obschon auch sie seit ihrer Vorschulzeit keine Zeugen von Gewalttaten mehr
gewesen waren. Eine 29‑jährige Frau aus der gleichen Untergruppe leidet
immer noch an sich wiederholenden Angstträumen von ‑einer Szene, in der
die Polizei gerufen werden musste, um ihren Vater zu entwaffnen. Sie hat keine
bewusste Erinnerung an diese Erfahrung, die sich unseren Aufzeichnungen
zufolge ereignete, als sie vier Jahre alt war. Wir folgern daraus, dass es
nicht genügt, Kinder aus einem gewalttätigen Milieu zu entfernen, um sie vor
den Langzeitwirkungen ihrer Zeugenschaft von Gewalttaten zu schützen. Solche
Kinder brauchen eine intensive psychologische Behandlung zusätzlich zu
Maßnahmen, die sie davor schützen, weiterhin der Gewalt ausgesetzt zu sein.
Ich kann hier die
früheren Berichte zur Adoleszenz dieser Kinder nicht rekapitulieren. Es genügt
festzuhalten, dass der emotionale Hunger, die Einsamkeit, die herabgesetzten
Erwartungen, deren Wurzeln ich beschrieben habe, sie während ihrer Adoleszenz
vulnerabel im Umgang mit der auftauchenden eigenen Sexualität und Aggression machten. Sie waren auch weniger
widerstandsfähig gegen Drogen, Alkohol und verfrühte sexuelle Aktivitäten. Die
Hälfte deriungen Leute unserer Stichprobe hatte in der Adolszenz ernsthafte
Probleme mit Drogen‑ oder Alkoholmissbrauch. Vielen fingen damit vor
ihrem 14. Lebensjahr an. Sexuelle Aktivitäten begannen ebenfalls in der frühen
Adoleszenz, zuweilen sogar früher, besonders bei Mädchen‑ Einige der
jungen Frauen sagten:" Ich dachte, das ist alles, was ich zu geben
habe." Andere sagten traurig:" Sex war das einzige, womit ich Aufmerksamkeit
kriegen konnte." Eine junge Frau, Linda, erklärte:" Ich kam Tag für
Tag heim in ein leeres Haus. Dies war der Grund, warum ich mich mit Drogen und
Sex einließ." Obwohl viele regelmäßig unter Einfluß von Alkohol oder
Drogen in die Schule gingen, kam es ausgesprochen selten vor, ob in der Schule
oder zu Hause, daß ein Erwachsener es bemerkt oder gar darauf reagiert hätte.
Dies bestärkte sie in ihrer Auffassung, dass es niemanden wirklich interessierte,
was sie taten.
Nur in zwei Familien
versuchten die Eltern aktiv, den Hang zum Drogen‑ oder Alkoholmißbrauch
zu stoppen. Beide Interventionen waren erfolgreich und zeigen, was
engagierte Eltern erreichen können, wobei sie unter Umständen bereit sein
müssen, Opfer auf sich zu nehmen. Als
Nancy, die ihr College nicht fortsetzen konnte, weil ihre
Studiengebühren nicht bezahlt
worden waren, anfing Kokain zu nehmen, rief ihre Mutter die ganze Familie, einschließlich des
Vaters zusammen. Bei diesem Treffen
Fragte sie Nancy: "Was sollen wir tun, damit Du dieses Verhalten nicht
fortsetzt?". Nancy antwortete:" Ich möchte zurück aufs College
gehen." Ihre Mutter, die ein bescheidenes Gehalt als Lehrerin verdiente
und damit zwei Kinder unterstützen musste, nahm einen Kredit auf ihr Haus auf,
schickte Nancy zurück aufs College und zahlte für eine Drogentherapie. Die junge Frau blieb in den folgenden 10
Jahren stabil.
Wir wenden uns nun
dem Übergang ins Erwachsenenalter zu. Die psychologische Aufgabe beim Eintritt
ins Erwachsenenalter umfasst das Herstellen von Intimität, die Suche und die
Auswahl eines Lebenspartners, das Etablieren einer beruflichen Laufbahn und die
Heirat. Eine andere Aufgabe, die eng damit verbunden ist, ist die
Entscheidung, ob man Kinder haben und eine Familie gründen will. In welchem
Umfang ist diese Untergruppe von Kindern, die die meiste ihrer bisherigen
Lebenszeit in einer geschiedenen Familie verbracht haben, erfolgreich bei der
Bewältigung dieser Aufgaben?
Wie die frühen
Kindheitsjahre wurde auch der Übergang zum Erwachsenenleben durch die
elterliche Scheidung belastet. Das Erwachsensein begann für diese jungen
Menschen schmerzlich und schroff, mit einer Aufgabe, für die sie schlecht vorbereitet waren und wenig Hilfe bekamen.
Im Alter von 18 Jahren endet in Kalifornien die offizielle
Unterstützungspflicht gegenüber Kindern. Keines der geschiedenen Paare hatte
eine offizielle Abmachung getroffen, die die Finanzierung der Ausbildung der
Kinder nach der Highschool absicherte. Von diesen jungen Menschen wurde
erwartet, dass sie sich selbst um ein College bemühen, die Studiengebühren und
die zusätzlichen Kosten bezahlen und für sich selbst sorgen, ohne über
Fähigkeiten zu verfügen, mit denen sie Geld verdienen könnten. Es ist daher
nicht erstaunlich, dass, obschon die Mehrzahl die Highschool erfolgreich
abgeschlossen hatte, ein Drittel von ihnen sich nicht weiterbildete. Sechs
junge Erwachsene erhielten von ihren Eltern oder Stiefvätern volle finanzielle
Unterstützung für ihre weitere Ausbildung.
Dank dieser Unterstützung konnten sie anspruchsvolle, erstklassige
Universitäten besuchen und eine berufliche Laufbahn verfolgen, die sie selbst
wollten. Diese sechs Männer und Frauen hatten in ihren späten Zwanzigerjahren
gute Anstellungen in Berufen gefunden, die sie ausgesucht hatten und
befriedigend fanden. Ihr Stolz, ihr Selbstvertrauen und ihre Lebensfreude
standen in scharfem Kontrast zu der offen resignativen Stimmung ihrer weniger
glücklichen Altersgenossen.
Die
große Mehrheit kämpfte sich auf weniger anspruchsvollen öffentlichen Colleges
durch, wo sie Kurse besuchte, die mit Ganztags‑ oder Halbtagsjobs
kombiniert werden konnten oder solche, die den Studierenden erlaubten, Studiensemester
mit Semestern abzuwechseln, in denen sie Geld verdienten. Ein Viertel von ihnen
finanzierte sich während des Studiums völlig selbst. Ihre Situation schloß für
sie die Wahl einer anspruchsvollen wissenschaftlichen oder beruflichen
Karriere aus, die viele dieser intelligenten und nachdenklichen jungen Leute
vorgezogen hätten. Wegen der finanziellen Schwierigkeiten, mit denen sie
konfrontiert waren, waren sie gezwungen, Berufe zu wählen, die unter dem von
ihren Eltern erreichten Niveau lagen.
Oft spiegelten ihre Entscheidungen nicht ihre wirklichen Interessen und
ihre früheren Erwartungen wider. Die meisten von ihnen brauchten viel länger
als 4 Jahre, um einen Abschluss zu machen. Im Alter von 30 arbeiteten mehrere
von ihnen immer noch für ein schlechtes Gehalt in einem langweiligen
Routinejob, manche die ganze Nacht, um ihre Studiengebühr bezahlen und tagsüber
das College besuchen zu können. Daher waren die Wahlmöglichkeiten und die
weiteren beruflichen Chancen, die für sie in Frage kamen, während dieses ersten
Jahrzehnts ihres erwachsenen Lebens enttäuschend. Und obwohl sie sehr tapfer
waren und über 40% schließlich. einen Universitätsabschluss schaffte,
repräsentierten die Studentenjahre für sie eine allzu bekannte Wiederholung
ihrer Kindheit. Sie waren sich über die Ungerechtigkeit der Gesetze absolut im
klaren und wussten, dass sie einmal mehr die Hauptlast der elterlichen
Ehescheidung zu tragen hatten. Ihre Zukunft war beschädigt worden. Eine junge
Frau fasste das so zusammen:" Ich bin ein Bauer auf einem
Schachbrett", sagte sie, "ich war immer ein Bauer auf dem
Schachbrett."
Als wir das
Ausbildungsniveau unserer Stichprobe mit dem höchsten Bildungsgrad ihrer
Eltern verglichen, die diese im gleichen Alter erreicht hatten, stellte sich
heraus, dass über die Hälfte der jungen Erwachsenen ein niedrigeres Ausbildungsniveau
erreicht hatte als ihre Eltern. Nur drei schlossen ihre offizielle Ausbildung
mit einem höheren Grad als ihre Eltern ab. Obwohl einige es schafften, das
College mit viel Anstrengung und Härten abzuschliessen, und einige ein Graduiertenstudium
beendeten, mußte die Mehrzahl von ihnen mit einer schlechteren Ausbildung
vorlieb nehmen, und einen Arbeitsplatz akzeptieren, der einen geringeren
Bildungsgrad voraussetzte und deshalb auch weniger ökonomische und soziale
Möglichkeiten bot, als jene, über die ihren Eltern im gleichen Alter zur
Verfügung gestanden hatten.
Unsere Daten
unterstützen die Auffassung nicht, die häufig vertreten wird, wonach Väter,
die ihre Kinder regelmäßig sehen,
finanziell abgesichert sind und Wert auf Bildung und Ausbildung legen,
auch bereit sein würden, für die Ausbildung ihrer Kinder die notwendige
finanzielle Unterstützung zu leisten. Zwei Drittel dieser jungen Menschen
hatten Väter, die in gut bezahlten akademischen Berufen arbeiteten oder
erfolgreiche Geschäftsleute waren. Obschon viele von ihnen einen regelmäßigen
Kontakt mit ihren Kindern hatten, hat keiner von ihnen seinen Sohn oder seine
Tochter voll unterstützt. Und nur ein
Drittel der Väter hatte wenigstens eine kontinuierliche Teilunterstützung den Kindern gewährt. Die
Mehrheit gewährte Unterstützung nur teilweise und unzuverlässig. Ein Viertel aller Väter weigerte sich, die
Kinder nach ihrem 18. Lebensjahr weiter finanziell zu unterstützen. Diese
Daten sind überraschend, da für viele dieser Väter die eigene Ausbildung das
Sprungbrett für ihre weiteren beruflichen Möglichkeiten gewesen war. Einige
hoch gebildete und aufgeschlossene Männer zeigten wenig Interesse an der
Ausbildung ihrer Kinder. Als ein junger Mann während seines ersten
Studienjahres aus dem College ausschied, erwähnte dies sein Vater, den er
damals wöchentlich besuchte, mit keinem Wort. Sieben junge Menschen wurden
finanziell durch ihre Stiefväter unterstützt. Es ist interessant, dass jene
Stiefväter, die für das College bezahlten, dies konsistenter und großzügiger
taten als die leiblichen Väter. Bei der Mehrzahl der jungen Leute, die Geld von
ihren Eltern erhielten, waren es die Mütter, die häufig ihre Kinder
kontinuierlich, wenn auch nicht voll unterstützten. Einige Frauen
nahmen dafür eine Hypothek auf ihr Haus auf Nur wenige verfügten selbst über
Gehälter, die ihnen erlaubt hätten, ihre Kinder ohne große eigene Opfer
finanziell zu unterstützen.
Die Ergebnisse
hinsichtlich des Arbeitsplatzes waren wie erwartet. Verglichen mit dem
sozioökonomischen Status ihren Eltern, bewegten sich nur drei der Kinder zu
Beginn ihres vierten Lebensjahrzehnts über deren Niveau. Vierzig Prozent
bewegte sich unter, bzw. weit unter dem soziökonomischen Status ihrer Eltern.
So arbeitete eine junge Frau von 29, deren Mutter eine Kunstgallerie leitet und
deren Vater Anwalt ist, nach ihrem Collegeabschluß als Kellnerin und als Lehrerassistentin.
Aufs Ganze gesehen ging beim Vergleich der Generationen der berufliche Trend
nach unten, obschon alle diese jungen Leute, mit zwei Ausnahmen, arbeiteten
und sich selbst finanzierten.
Wenden wir uns nun der
Beziehung zwischen den Kindern und ihren Eltern zu. Forschungsberichte haben
sich eingehend mit der Regelmäßigkeit und der Häufigkeit des Kontakts zwischen
Vater und Kind beschäftigt. Es gibt aber nur wenige Untersuchungen zur
Qualität der Beziehung und zu der Frage, ob und in welcher Weise sie hilfreich
für das Kind ist. Auch das Beziehungserleben und die Beziehungszufriedenheit
des Kindes sind kaum untersucht worden. Statt dessen wird offiziell davon
ausgegangen, dass ‑ falls die Mutter es nicht verhindert und der Vater
nicht gefährlich ist ‑ Kind und Vater einen regelmäßigen Kontakt entwickeln,
sich daran erfreuen und von der Beziehung zueinander profitieren werden. Die
Ergebnisse dieser Studie zeigen ein viel komplexeres Bild. Sie lassen Zweifel
an den offiziellen Erwartungen der letzten Jahre aufkommen, daß es einem
Scheidungskind in der Nachscheidungsphase gelingen kann, eine nahe Beziehung
zu beiden Elternteilen aufrecht zu erhalten, falls der Ärger zwischen den
Eheleuten sich in Grenzen hält. Unsere Forschung zeigt viele wichtige Einflüsse
auf die Eltern‑Kind‑Beziehung, die nicht mit der gescheiterten Ehe
und ihren emotionalen Residuen in Zusammenhang stehen. Frühere Studien haben
die Vater‑Kind‑Beziehung nur zu einem oder zwei Zeitpunkten
untersucht. Dadurch blieben die auffallenden Veränderungen unsichtbar, die sich über eine längere Zeit in den
Nachscheidungsjahren vollziehen. Wir haben jedoch herausgefunden, dass Eltem‑Kind‑Beziehungen,
die aus dem Hafen der ehelichen Bindung herausfallen, in dem sie eingebettet
waren, weniger stabil sind als solche innerhalb intakter Familien. Wir haben in
dieser Studie beobachtet, dass das Interesse des Vaters und seine Verfügbarkeit
für die Kinder dazu tendierte zu fluktuieren, analog zum momentanen Erfolg oder
Scheitern in anderen Teilen seines Lebens. Männer,die unglücklich oder belastet
waren, denen es physisch oder ökonomisch schlecht ging, hatten
Schwierigkeiten, den regelmäßigen Kontakt
zu ihren Kindern aufrecht zu erhalten. "Ich
hatte so wenig zu geben...", sagte ein Vater, der, nachdem er seinen Sohn
drei Jahre lang in treuer Weise besucht hatte, plötzlich den Kontakt zu ihm
abbrach, als er eine persönliche Krise erlebte. Als er sich einige Jahre
später wieder besser fühlte, tauchte er plötzlich wieder auf und wollte die
Besuche wieder aufnehmen. Der psychologische Zustand und die vorherrschende
Stimmung des Vaters, die während der Nachscheidungsjahre besonders bei jungen
Männern sehr stark schwanken mag, stellte sich als wichtiger Einfluß auf die
Kapazität des Vaters heraus, den Kontakt zu seinem Kind aufrecht zu erhalten.
Dies konnte nicht aufgrund der Geschichte vor der Scheidung oder der
elterlichen Interaktion während der Krise vorausgesagt werden.
Mit Ausnahme von
dreien haben alle Männer unserer Stichprobe kurz nach der Scheidung wieder
geheiratet. Ein Drittel davon heiratete drei Mal oder noch häufiger während
des Aufwachsens der Kinder. Der Kontakt zum Kind veränderte sich auch in
Abhängigkeit von der jeweiligen Ehe des Vaters, der Einstellung seiner neuen
Frau und der Präsenz von Kindern in der neuen Familie. Eine erneute Scheidung
brachte weitere Veränderungen mit sich. Stiefmütter, besonders wenn sie eigene
Kinder hatten, waren häufig offen genug zu sagen, dass sie die Kinder aus der
ersten Ehe ihres Mannes ablehnten und sie als Eindringlinge empfanden. Eine
Frau drückte das so aus:" Ich wollte den Mann und nicht die Kinder."
Diese Einstellungen übten einen wichtigen Einfluß aus. Verständlicherweise
wollte der Vater seine neue Ehe nicht belasten und räumte ihr daher Priorität ein. Väter, die ihre Stiefkinder
ins College schickten und finanzierten, unterstützten ihre eigenen Kinder
häufig nicht.
Zuweilen war der sich
verändernde Entwicklungsstand des
Kindes ein kritischer Punkt in der Fluktuation des Kontaktes zwischen Vater
und Kind. Am leichtesten und befriedigendsten war es für die Väter, ihre Kinder
im Vorschulalter zu besuchen. Viele Männer fühlten sich aber unwohl, wenn sie
Zeit mit ihren älteren oder jugendlichen Kindern verbringen sollten.
Frühadoleszente Mädchen wirkten auf ihre Väter besonders einschüchternd. In
Entwicklungsphasen, die eine Herausforderung für die Väter darstellten,
verschlechterte sich der Kontakt mitunter erheblich und Besuche verkamen zu
einer Veranstaltung voller Verlegenheit und Unbehagen, begleitet von gespanntem
Schweigen, Unruhe und totaler Langeweile, sodass die Kinder diesem Kontakt nur
noch entfliehen wollten.
Männer, die innerhalb
des haltenden Rahmens der Ehe gute Väter gewesen waren, zogen sich allmählich
von dem Kontakt zu ihren Kindern zurück, wenn neue Berufssituationen,
veränderte Wohnorte oder neuen Beziehungen ihr hauptsächliches Interesse
beanspruchten. Manche vergaßen sogar die Geburtstage ihrer Kinder oder
Weihnachten. Manchmal erschienen sie plötzlich nach einer Phase der
Vernachlässigung wieder. So z.B. ein Vater, der nach jahrelanger Abwesenheit
kurz wieder auftauchte, um seinen inhaftierten Sohn gegen Kaution auf freien
Fuss zu bekommen. Manche Väter kamen einmal pro Jahr für wenige Stunden zu
Besuch. In den ersten Jahren nach der Scheidung brach der Verlust der Väter den
Kindern das Herz. Sie konnten den Verlust kaum ertragen. Allmählich und mit
großen Schmerzen haben sie sich mit der neuen Realität arrangiert. Väter, die
ihre Kinder im Stich ließen oder nur unregelmäßig auftauchten, um wieder zu verschwinden,
wurden als selbstsüchtig betrachtet, und für unfähig gehalten, die Folgen ihres
Tuns zu begreifen. Tr hat nie wegen irgend jemandem ein Opfer auf sich
genommen," sagte ein junger Mann. " Mein Vater liebt das Leben, aber
er hat kein Herz für andere," sagte ein anderer. Die Kinder, die von ihren
Vätern verlassen oder enttäuscht wurden, haben aus der Distanz über Jahre ihre
Väter auf der Suche nach Zeichen der Besserung beobachtet. " Ich halte den Kontakt zu ihm,"
sagte uns Sam als Dreißigjähriger. "Er ist etwas stabiler geworden. Er
wird nun älter und vielleicht etwas zuverläßiger. Er hat mich im Stich
gelassen, ich weiss das. Aber es nützt nichts, deswegen traurig oder stocksauer
zu sein. Menschen tun eben das, was sie tun müssen."
In einigen Familien,
tauchten Väter, die jahrelang kaum Kontakt zu ihren Kindem hatten, plötzlich
wieder auf, wenn sie Großvater wurden, oder nach wichtigen Wendepunkten in
ihrem eigenen Leben, die nicht in direktem Zusammenhang mit ihren Kindern
standen. Gelegentlich erschienen sie wieder, um Hilfe anzubieten und schafften
es manchmal, ihre erwachsenen Kinder vor einem Unglück zu bewahren. Betty war
mit ihrer geschiedenen Mutter in Armut groß geworden und hatte die Schule ein
Jahr vor dem Abschluss (im junior year) abgebrochen, nachdem sie sich
ernsthaft mit Drogen und Sex eingelassen hatte. Als wir sie als Zwanzigjährige
interviewten, wirkte sie unglücklich und verloren. Ihr Kinn war nach einer
gewalttätigen Auseinandersetzung mit einem ihrer vielen Freunde verbunden. Kurz
danach entschied sie sich gegen eine 5. Abtreibung und wollte das Kind
austragen. Als ihr Vater, mit dem sie seit ihrem 13. Lebensjahr kaum noch
Kontakt hatte, von der Geburt des Kindes hörte, rief er sie an und bot ihr an,
sie finanziell zu unterstützen, damit sie die Highschool und das College
beenden könne. Zum Zeitpunkt der 25‑Jahres Katamnese, als sie 30 Jahre
alt war, hatte sie einen Collegeabschluss in Naturwissenschaften geschafft. Sie
war glücklich verheiratet, hatte eine Anstellung als Laborantin und war Mutter
eines süssen, gut versorgten Kindes. Sie kam mal auf dem Weg zu ihrem Vater bei
mir vorbei. "Mein Vater hat sich verändert, als er Großvater wurde",
sagte sie". Ich hab ihn wirklich gern."
Die meisten dieser
jungen Leute haben großzügig ihre Zuneigung zu ihren Vätern zum Ausdruck
gebraucht. Manche zeigten sogar echte Anteilnahme. Allerdings verbanden die
wenigsten von ihnen ihre Zuneigung mit Respekt für ihre Väter. Der Respekt
wurde den Vätern in der Regel verweigert, wenn sie es nicht geschafft hatten,
ihren Kindern die Treue zu halten, oder wenn sie als unfähig betrachtet wurden,
ihre Beziehungen zu reflektieren. Die Bedeutung des Respekts in der Eltem‑Kind‑Beziehung
wurde immer wieder herausgestellt, wenn die Kinder ihre Eltern beurteilten und
beschrieben, wie sie von ihnen behandelt zu werden möchten. Weniger als fünf
in der gesamten Stichprobe sagten, sie würden bei einem persönlichen oder
familiären Problem den Rat ihrer Väter suchen. Besonders intensive Wut
gegenüber ihren Vätern, die bis ins Erwachsenenalter anhielt, verspürten
diejenigen Kinder aus unserer Stichprobe, die durch Gerichtsauflagen gezwungen
waren, strikte Besuchsregelungen einzuhalten. Sofern es das erklärte Ziel des
Gerichts war, mit Hilfe der Besuchsregelung eine engere Beziehung zwischen
Vater und Kind zu fördern, so erwiesen sich gerichtlich verordnete
Be-suchszeiten, an denen das Kind nicht mitwirken konnte, nicht nur als dafür
völlig ungeeignet, sondern als regelrechter Bumerang. Kein einziges Kind, das
seinen Vater im Rahmen einer rigide implementierten Auflage des Gerichts oder
einer entsprechend unflexiblen elterlichen Vereinbarung regelmäßig besucht
hatte, unterhielt als Erwachsener eine gute Beziehung zu ihm. Fiona, die per
Flugzeug zu den vom Gericht verordneten Besuchen flog, sagte als 28‑jährige:
" Als ich ein kleines Mädchen war, hatte ich das Gefühl, ich sei wie eine
Abfalltüte, die verschifft wurde, und er musste sich dann mit dieser
Abfalltüte während einiger Wochen beschäftigen. Ich fühlte mich in seiner
Gegenwart eingeschüchtert, hilflos und inadäquat. Er versuchte mit seinen
Kindern innerlich in Kontakt zu kommen, aber er schaffte es nicht. Ich bin froh, dass ich keinen Kontakt mehr
mit ihm habe, nie mehr."
Ellen, die durch das
Gericht dazu gezwungen wurde, jedes zweite Wochenende bei ihrem Vater zu
verbringen, beklagte sich, als sie 14‑jährige bitterlich, ihr Leben sei
abnormal. Sie werde aus allen lustvollen Aktivitäten während ihrer Schuljahre
herausgerissen. Sie bat um einen flexibleren Besuchsplan, aber ihr Vater
weigerte sich unter Berufung auf das ihm gerichtlich zugesprochene Recht. Als
14‑jährige sagte mir Ellen: "Mein Vater hat mich nie geliebt. Leute,
die andere lieben, respektieren sie. Er fragte mich nie, ob ich ihn sehen
wolle, oder was ich tun wollte, als ich dort war." Obschon der Vater
wohlhabend war und keine weiteren Kinder hatte, trug er nichts zu ihrer
Collegeausbildung bei. Als Ellen ihre Volljährigkeit erreichte, lehnte sie es
ab, ihn noch weiter zu sehen. Als sie 28 war, wurde er ernsthaft krank und bat
um Versöhnung. Sie wies dies zurück. Sie sagte: "Ich erinnere mich , dass
ich als Jugendliche im Haus meines Vaters war und das ganze Wochenende weinte,
und dann weinte ich den ganzen Sommer, allein, und fragte mich, womit ich diese
Strafe verdient habe. Ich habe nun keine Beziehung zu meinem Vater. Ich kann
für ihm nicht die Tochter sein, die er sich wünscht. Er hat kein Recht das zu
verlangen."
Bei einem Kind haben sich die Eltern auf eine besondere
Variante eines rigiden Gerichtsbeschlusses geeinigt. Sie vereinbarten, dass das
Kind fünf Tage im Haus der Mutter und zwei Tage im Haus des Vaters verbringen
soll. Das Kind wurde in die Erstellung dieses Plans nicht einbezogen. Die
Beziehung zum Vater wurde dadurch eher erschwert als erleichtert. Sie beschrieb
dies , später: ich hasste es. Ich denke nicht, dass es gut für Kinder ist, die
Woche an einem Ort und das Wo chenende mit einem anderen Elternteil zu
verbringen. Als Kind versucht man zu entdecken, wer man selbst ist und entwickelt
Freundschaften. Diese Vereinba rung bedeutete Brüche für mich. Ich geriet
jedesmal durcheinander, wenn ich zu meinem Vater gehen sollte. Ich sagte zu mir
selbst: Ich werde vortäuschen, dass ich nicht da bin." Seit ich erwachsen
bin, rufe ich ihm nie an. Ich will keine Nähe zu ihm."
Kein Kind unserer
Studie hatte durchgehend die negative Meinung eines Elternteils über den
anderen übernommen. Dennoch nahmen Kinder, als sie noch jünger waren, zuweilen
Partei vor allem für jene Seite, um die sie sich am meisten Sorgen machten,
oder die sie am meisten bemitleideten. Aber keine dieser Allianzen überdauerte
die mittlere Adoleszenz. Die meisten Kinder bildeten und revidierten ihr Urteil
über die Eltern auf der Grundlage ihrer eigenen Beobachtungen während all der
Jahre, in denen sie groß wurden. Sie schlugen sich mit ernsthaften Fragen
herum: Ist dieser Elternteil einer Versager? Ist er (oder sie) ein guter
Mensch? Kann man ihm (oder ihr) vertrauen? Es gibt keinen Beleg in unserer
Studie, dass eine elterliche Stimme das Denken des Kindes auf Dauer völlig
dominieren könnte.
Die Mütter wurden dem
gleichen sorgfältig prüfenden Blick und Urteil unterzogen wie die Väter.
Allerdings wurden sie mit mehr Anteilnahme betrachtet. Mutter‑Kind‑Beziehungen
verändern sich über die Jahre hinweg ebenfalls, wobei sich in diesem Wandel
nicht nur die individuellen Entwicklungen von Mutter und Kind spiegeln, sondern
auch die beruflichen Anforderungen und Ambitionen im Leben der Mutter, wie auch
vor allem ihre wechselnden Beziehungen. Die meisten Frauen hatten über die
Jahre hinweg romantische Bindungen, aber nur die Hälfte von ihnen hat wieder
geheiratet. Zwei von ihnen ließen sich zum zweiten Mal scheiden. Mütter, die
hart arbeiteten, um ihr Heim aufrecht zu erhalten, und die der Versorgung und
Erziehung ihrer Kinder Vorrang einräumten, wurden mit Liebe und tiefer
Wertschätzung für ihre harte Arbeit und ihre eigenen Opfer belohnt. Die jungen
Leute waren sich der heroischen Anstrengungen ihrer Mütter bewusst. Sie fühlten
sich vom Gedanken belastet, dass die Mütter ihretwegen ihre Chancen für ein
glücklicheres Leben eingebüßt haben könnten. Sie sprachen in bewegender Weise
über ihre Sorgen. Eric, ein 27‑jähriger,' sagte: "Meine Mutter und
ich stehen uns sehr nahe. Ich spreche oft mit ihr. Sie ist eine wunderbare Person.
Ich achte ihre Meinungen. Ich mache mir aber große Sorgen, dass sie ihr eigenes
Leben für uns aufgab."
Mütter, die wieder
geheiratet haben, wurden mit teilweise recht bitteren Gefühlen abgelehnt, wenn
die Kinder das Gefühl hatten, dass die Mutter in ihrem Eifer, ihrem neuen Mann
oder Liebhaber zu gefallen, die Kinder außen vor ließ. Die Kinder waren auch
verärgert, wenn Mütter die Aufgabe, für Disziplin zu sorgen, an Stiefväter
delegierten, die als unfair, hart und wenig fürsorglich erlebt wurden. Eine
solche Dynamik beobachteten wir am häufigsten bei adoleszenten Söhnen. Einige
der jungen Menschen verließen ihr Zuhause mit 16 oder 17 und klagten über eine
grausame und ungerechte Disziplin zu Hause sowie über ein gegen sie gerichtetes
Bündnis zwischen Mutter und Stiefvater. Die Intensität der Wut war 10 Jahre
später noch nicht gemildert, "Ich werde ihr dies mein Leben lang nicht
verzeihen", sagte John, als er Ende zwanzig war.
Mütter‑Töchter‑Beziehungen,
die häufig nah und von gegenseitiger Unterstützung geprägt waren, während die
Tochter aufwuchs, wurden für beide sehr schmerzlich, als es in der Adoleszenz
und im jungen Erwachsenenalter zu unvermeidlichen Trennungen kam, sofern es
der Mutter nicht gelungen war, eine Beziehung zu einem Mann aufzubauen. Töchter
übernahmen schon in einem sehr frühen
Alter die Verantwortung für das emotionale Gleichgewicht der Mutter, auch wenn
die Mutter eine kompetente Person war, die im Berufsleben gut funktionierte. Oft
war die Tochter die einzige, der es erlaubt war, die Verletzbarkeit und
Einsamkeit der Mutter zu sehen. Die jungen Frauen dieser Gruppe litten an
intensiven Schuldgefühlen und moralischen Konflikten, denn sie hatten das
Gefühl, ihre Mutter im Stich zu lassen, da diese niemand anderen hatte, an den
sie sich hätte wenden können. Wenn die Scheidung vom Vater ausgegangen war,
neigte die Tochter besonders leicht dazu, sich als Verfolger zu fühlen, der das
vorhergegangene Trauma des Verlassenwerdens gegenüber der Mutter wiederholt.
Molly sagte als 27‑jährige dazu:" Ich bin eine Person, die
außerordentlich leicht Schuld und Sorge empfindet. Ich denke, dies hat mit
meiner Mutter zu tun.
Sie ist einsam. Sie möchte mich in
ihrer Nähe haben. Wenn sie in Ruhestand geht, wird sie allein sein. Es ist
wichtiger für mich, dass, sie selbst heiratet als ich. Was wird sie ohne mich
tun? Seit ich 5 Jahre alt war, hat mich meine Mutter wie eine Freundin
behandelt. Sie hat erwartet, dass ich stark bin und sie unterstütze. Ich muss
sie beschützen, den letztendlich hat sie niemanden außer mir." Diese
inneren Konflikte tragen häufig zu den Sorgen dieser jungen Frauen aus
geschiedenen Familien noch Jahre nach der Scheidung bei.
Wir haben in früheren
Arbeiten die große Angst beschrieben, die Kinder aus geschiedenen Ehen erleben,
wenn sie sich der Liebe und der sexuellen Intimität annähern, um langfristige
Beziehungen aufzubauen.Dies ist eine zu erwartenden Konsequenz aus der
elterlichen Ehescheidung, die am Übergang zum Erwachsenenleben an Bedeutung
und Gewicht gewinnt. Zum Zeitpunkt der 25‑Jahres Katamnese konnten wir
beobachten, wie sich diese Problematik während des dritten Jahrzehnts entfaltet
hatte. Die jungen Erwachsenen waren sehr ängstlich, wenn es um Ehe und die
Gründung einer eigenen Familie ging. Dieses Thema war zentral während ihres
gesamten dritten Lebensjahrzehnts. Sie machten sich praktisch permanent Sorgen
darüber. Sie suchten Therapien auf, um ihre Ängste vor Nähe zu überwinden. Sie
strengten sich an zu erlernen, was ihnen nach ihrem Empfinden entgangen war.
Sie beklagten sich bitterlich, dass sie nie ein glücklich verheiratetes Paar
gesehen haben. "Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich auf einer einsamen
Insel aufgewachsen.", sagte Cathy. "Liebe verbunden mit sexueller Intimität
ist eine fremde Vorstellung für mich." Männer und Frauen litten gleichermaßen
unter der Befürchtung, im Stich gelassen und von ihren Geliebten oder Ehegatten
betrogen zu werden.
Diese Angst, die
erwachsenen Beziehungen entgegengebracht wurde, war bei Kindern, deren Eltern
sich auf bittere Weise getrennt hatten, nicht anders als bei jenen, deren
Eltern während der Scheidung und in den Jahren danach kultiviert miteinander
umgegangen waren. Auch die Häufigkeit oder der Umfang des Kontaktes mit dem
Vater in der Zwischenzeit spielte keine Rolle. Nora, die ihren Vater regelmäßig
gesehen hatte, hatte mit 17 Jahren noch nie einen Freund gehabt. Sie
sagte:" Es ist nicht der Sex, der mir Angst macht. Es ist die Nähe." Nahezu
alle Untersuchten gingen davon aus, dass sie ein hohes Risiko haben, selbst
eine Scheidung zu erleben. Sie erwarteten ähnliche Schwierigkeiten, wie sie
ihre Eltern erlebt hatten und machten sich Sorgen, auch ihre Kinder könnten die
Belastungen des Aufwachsens in einer Scheidungsfamilie erleben. Ein Viertel
versuchte Beziehungen überhaupt zu vermeiden. Betty, eine 27‑jährige,
sagte: "Ich möchte mich nie scheiden lassen. Daher kann ich auch nicht
heiraten. Und aus diesem Grund kann ich auch kein Rendezvous vereinbaren."
Ein anderes Viertel hat geheiratet. Zwei davon haben sich scheiden lassen.
In mehreren dieser
Ehen haben die jungen Leute fürsorgliche, liebende Partner gefunden, die ihrer
Selbstachtung einen entscheidenden Auftrieb gaben, und ihre Ängste zu
zerstreuen vermochten. "Es ist das Beste, was mir je passiert ist,"
sagte Cora, eine erfolgreiche berufstätige Frau, die als 19‑jährige akut
depressiv und suizidal war. "Es war Liebe auf den ersten Blick. Er ist
hilfreich und sehr verständnisvoll. Er ist ein Fels. Er sorgt in wunderbarere
Weise für mich. Er kompensiert die
Defizite meiner beiden Eltern." Im allgemeinen fingen die jungen Leute an,
mit mehr Vertrauen von Beziehungen zu reden, als sie über 30 Jahre alt waren.
Karen äußerte sich kritisch über einen geschiedenen Freund. Sie sagte:" Es
ist so einfach, das Handtuch zu schmeißen und nicht zu versuchen, mit den
Dingen zurecht zu kommen. Ich möchte mich nie scheiden lassen. Ich hatte immer
das Gefühl einer inneren Stärke in mir. Das hat mir in all den Jahren geholfen.
Ich weiss nicht, woher diese Stärke kam. Aber ich weiss, dass sie da ist, weil
ich mich immer auf mich selbst verlassen musste."
Auf der positiven
Seite können wir auch vermerken, dass der schwere Drogen und Alkoholkonsum, der
oft in der frühen oder mittleren Adoleszenz begann, in der Regel in den frühen
oder mittleren Zwanzigerjahren abnahm und Ende zwanzig meistens verschwunden
war.
Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse dieser 25‑Jahre
Katamnese haben weitreichende Implikationen für die Politik und die Praxis
innerhalb und außerhalb der Gerichte. Sie stellen grundlegende Annahmen über
die Auswirkungen von Scheidung auf Kinder in Frage, die bisher für die
Entscheidungen der Gerichte und die aus ihnen erwachsenden Maßnahmen bestimmend
waren. Unser Denken wurde bisher vor allem durch die Erfahrung der Erwachsenen.
beeinflusst. Aus der Perspektive von Erwachsenen ist eine Scheidung eine
zeitlich limitierte, umschriebene Krise, die vor allem durch die Ereignisse
während des Zusammenbruchs der Ehe bestimmt wird. Es wird erwartet, dass sofern
die beiden Erwachsenen ein vernünftiges und faires Arrangement bezüglich
finanzieller, rechtlicher und elterlicher Angelegenheiten in der Trennung
finden, die Wunden langsam heilen und beide ein neues, eigenständiges Leben
aufbauen können. Das gleiche Konzept wurde auf die Kinder angewandt und führte
zu einem systematischen Fokus auf Fragen des Sorgerechts, des Kontakts und der
finanziellen Unterstützung in der Erwartung, dass mit der Klärung dieser
Angelegenheiten und dem allmählichen Schwinden der Bitterkeit zwischen den
Partnern, sie wieder in der Lage sein würden, ihren elterlichen Pflichten
nachzukommen, und das Kind zu einem normalen Entwicklungsprozess zurückkehren
wird.
Unsere
Ergebnisse erzählen jedoch eine andere Geschichte. Sie zwingen uns zu einem
grundlegenden Umdenken. Im Gegensatz zu den Erfahrungen der Erwachsenen
erreicht das kindliche Leiden nicht seinen Höhepunkt während der akuten Krise,
um danach sukzessiv abzunehmen. Im Gegenteil, die Scheidung ist für das Kind
eine kumulative Erfahrung. Ihre
Auswirkungen nehmen im Laufe der Zeit zu. Auf jeder Stufe der Entwicklung
werden die Folgen erneut und auf verschiedene Weise erlebt. Kinder haben uns
erzählt, wie sie in den Jahren unmittelbar 77ach der Scheidung unter Einsamkeit
und einem gravierenden Verlust an elterlicher Fürsorge litten. Sie erinnern
sich an diese Jahre noch lange nachdem die Zeit der Ehekrise und Scheidung im
Gedächtnis verblaßt ist. Die Auswirkungen der Scheidung gewinnen an Stärke,
wenn die Kinder in die frühe Adoleszenz eintreten und oft ungenügend
beaufsichtigt und beschützt werden, und wenn zusätzlich (falls dies nicht schon früher
geschah) von ihnen verlangt wird, sich an neue Stiefeltem und Stiefgeschwister
anzupassen. Die Auswirkungen werden in der Spätadoleszenz nochmals verstärkt,
wenn finanzielle Nöte die Kinder daran hindern, eine Berufswahl zu treffen
oder Bildungschancen wahrzunehmen, die dem sozioökonomischen Status der Eltern
entsprechen würden.. Und nochmals, wenn bei den jungen Erwachsenen die Angst
wächst, die eigenen erwachsenen Beziehungen könnten wie jene der Eltern
scheitern. Die Auswirkungen der elterlichen Scheidung werden in den ersten drei Jahrzehnten des Lebens dieser Kinder immer
und immer wieder durchgespielt. Natürlich bedeutet das nicht, dass daraus immer
unglückliche oder scheiternde Kinder bzw. Erwachsene werden. Aber eine Reihe
von speziellen und schwierigen Aufgaben überlagert zusätzlich die ganz normalen
Aufgaben, die in den verschiedenen Entwicklungsphasen zu bewältigen sind. Viele Kinder, die dazu fähig waren, frühere
Entwicklungsstadien erfolgreich zu durchlaufen, kommen in einem späteren
Entwicklungsstadium nicht zurecht, weil ihre Ressourcen erschöpft sind.
Ausgehend von diesem
adäquateren Verständnis müssen wir uns im Interesse der Kinder nicht nur
fragen, wie wir sie heute, in der akuten Situation schützen können, sondern
auch Maßnahmen ergreifen, die gewährleisten, dass ihre Interesse auch in
Zukunft, in den jeweiligen
Entwicklungsphasen des Erwachsenwerdens geschützt sind. Was können wir heute
unternehmen, um die Kinder angemessen zu schützen, wenn sie älter werden, mehr
Bedürfnisse haben, vermehrten Respekt erwarten und ein Mitspracherecht bei der
Planung seines Lebens haben wollen? Es gibt Gesetzesvorhaben, die seit Jahren
auf Eis liegen, und die sich mit den langfristigen finanziellen Ansprüchen von
Kindern befassen. Sie schlagen vor, dass Geldmittel zur Unterstützung von
Kindern angelegt oder treuhänderisch verwaltet werden, bevor das eheliche
Vermögen aufgeteilt wird. Diese und
andere Pläne, die sich auf das reale Kind in einer realen Scheidungsfamilie
beziehen, sollten dringend umgesetzt werden, um die Nöte dieser Kinder zu
lindern.
Die jungen Menschen
dieser Studie haben uns aber noch weit mehr zu sagen. Viele haben
sich weder durch
ihre Eltern noch
durch das Gesetz
geschützt gefühlt. Sie fühlten sich übergangen, weil von ihnen erwartet
wurde, sich ohne Widerspruch Besuchs‑ und Sorgerechtsbestimmungen zu
fügen, die festgelegt wurden, ohne ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen, und
die häufig von ihnen als willkürlich und repressiv empfunden wurden. Während
der Vorschulzeit mag dies oft kein zentrales Thema gewesen sein. Aber es wurde innerhalb
einiger Jahre zu einem ernsten Problem, wenn von den Kindern trotz der
entwicklungsbedingten Veränderungen erwartet wurde, dass sie sich weiterhin an
die ursprünglichen Abmachung halten. Jugendliche, deren Leben durch
gerichtliche Verordnungen oder elterliche Abmachungen gesteuert wurde, litten
unter dem Verlust von Freiheit, über die ihre Altersgenossen selbstverständlich
verfügten. Es bedeutete für sie, dass sie weniger Mitspracherecht hatten, weniger über ihre eigenen Zeitpläne
verfügen konnten und weniger Einfluss darauf hatten, zu bestimmen, wann und wo
sie ihre Zeit verbringen wollen, speziell ihre kostbaren Ferien.
Das
Bild, das die Gerichte von Kindern haben, steht in eigentümlichem Widerspruch
zu unserem Wissen und den persönlichen Erfahrungen in unseren eigenen Familien.
Die durchschnittliche Familie begrüßt und unterstützt die sich verändernden,
entwicklungsbedingten Fähigkeiten und Ansprüche der Kinder. Aber das durch das
Gericht kreierte Kind ist ein passives Wesen, eine Stoffpuppe, die in jener
Position zu verharren hat, in der man sie plaziert. Es ist fast eine Nichtperson,
auf merkwürdige Weise eigenständiger moralischer Urteile und Meinungen
beraubt, die auf eigenen Beobachtungen und Erfahrungen basieren. Man erwartet
vom Kind, dass es sich zufrieden und still in die vormundschaftlichen Regelungen
und Kontaktabmachungen fügt, die ehrenwerte Richter oder Eltern arrangiert
haben. Man gibt ihm keine formelle Möglichkeit, eigene Ansichten auszudrücken
oder gar Präferenzen in Bezug auf verschiedene Abmachungen zu äußern. Und vor
allem wird erwartet, dass seine Entwicklung zu einem kompletten Stillstand
kommt, so dass die Gerichtsmaßnahmen oder Vereinbarungen, die auf ein 6‑jähriges
Kind zugeschnitten sind, auch in den darauf folgenden Jahren passen.
Aber die realen Kinder dieser Studie waren keineswegs damit
zufrieden, stumm und fügsam zu sein. Viele von ihnen fühlten sich gegängelt.
Sie wollten gehört werden, wenn es um die Festlegung eines doppelten Wohnsitzes
ging. Sie wollten nicht, dass darüber
ohne ihre Mitsprache verfügt wird, denn
schließlich wußten sie am besten, wie es sich anfühlt, zwischen zwei Orten
zerrissen zu sein. Sie wollten sich sicher fühlen und waren voller Angst, wenn
sie alleine reisen muss ten. Sie wurden fast krank vor Sorge, dass das
Flugzeug abstürzen könnte, oder dass man sie nicht abholen würde. (Übrigens,
wie viele von uns glauben wirklich, dass die Tausende von Kindern, die quer
durchs ganze Land zum Wohnort eines ihrer Eltern fliegen und teilweise jünger
als vier Jahre alt sind, mit den getroffe nen Abmachungen zufrieden sind, sich
geliebt und beschützt fühlen und Ver trauen haben, dass ein Elternteil freudig
auf sie warten wird, um sie zu begrü ßen?). Diese Kinder wollten, dass ihre
Sorgen gehört werden. Sie wollten insbe sondere über Ferienpläne mitreden
können, die mit zunehmendem Alter für sie wichtiger wurden und sie sich das
ganze Jahr darauf freuten, Ferien voller span nender Aktivitäten mit ihren
Freunden zu verbringen. Warum haben wir diese Kinder damit bestraft, ihre
Ferien mit einem Elternteil zu verbringen und zwar so, dass es zu seinem
Zeitplan paßt? Es ist sicherlich eine wichtige Botschaft an uns alle, dass die
jungen Menschen dieser Studie, die durch Gerichtsmaßnahmen dazu gezwungen
wurden, ihre Eltern nach einem rigide festgelegten Zeitplan zu besu chen,
jeden Kontakt mit ihnen zurückwiesen, sobald sie erwachsen wurden. Das
Versäumnis der Gerichte, die sich verändernden Ansprüche des Kindes im Laufe
seiner Entwicklung zu
berücksichtigen, und das
Kind im Zuge
seiner Reifung an der Planung
seines Lebens zu beteiligen, ist schwer zu rechtfertigen. Es ist, als würde man
ein Kind von 12 Jahren dazu zwingen, Schuhe eines 6‑jährigen zu tragen,
um dann, wenn es sich beklagt, dass die Schuhe drücken, oder weint, weil es
anfängt zu humpeln und schließlich gar nicht mehr laufen kann, alle seine
Einwände beiseite zu schieben, und fanatisch auf das Recht der Eltern zu bestehen,
die Kleider ihrer Kinder
auszusuchen. So wie es aussieht,
sind nicht viele bereit, sich auf eine individuelle
Behandlung der Probleme einzulassen, bzw. ein System zu reparieren, das
dringend einer Revision bedarf
Schließlich haben wir
gelernt, dass das Mutter‑ und Vatersein in der Nachscheidungsfamilie
unendlich viel komplexer und schwieriger ist, als wir ursprünglich angenommen
haben. Die elterlichen Funktionen auszuüben verlangt von Scheidungsfamilien
eine heroische Anstrengung und nicht jeder kann ein Held sein. Die mütterlichen
Funktionen auszuüben ist besonders schwierig, wenn die Kinder noch klein sind, und die Mutter gezwungen ist,
wieder voll zu arbeiten. Wenn man bedenkt, wie sehr
Kinder leiden, wenn das Auseinanderbrechen der Familie mit
dem Verlust elterlicher
Fürsorge einhergeht, sollte man überlegen, ob sich nicht
Übergangsphasen gestalten ließen, in denen kleine Kinder besser geschützt
wären und die Eltern die Möglichkeit hätten, allmählich angemessenere, weniger
überstürzt arrangierte Versorgungslösungen zu entwickeln. Diese Zeit könnten
auch die Mütter nutzen, um eine Arbeit zu finden, die besser mit der
Kinderversorgung zu vereinbaren wäre.
Die Instabilität der
Vater‑Kind‑Beziehungen, die sich in dieser Studie gezeigt hat, ist besorgniserreged.
Die Bindung zwischen Vater und Kind scheint stark durch Kräfte beeinflusst zu
werden, die weitgehend unabhängig sind von der elterlichen Interaktion während
der Scheidung, die bislang im Mittelpunkt aller Interventionen gestanden hatte.
Angesichts der Instabilität des Kontakts und der Variablität in der Qualität
der Beziehung der Eltern zu ihren Kindern, scheint es unwahrscheinlich, dass
diese Kinder mit einer treusorgenden und liebevollen Zuwendung beider Eltern
während der Jahre ihres Aufwachsens rechnen können. Dennoch könnte es für beide
Eltern hilfreich sein, an Kursen
teilzunehmen, die die Langzeitprobleme
und die kommenden Herausforderungen nach einer Scheidung
thematisieren. Auf die Bedeutung der Langzeitperspektive kritisch hinzuweisen,
war das zentrale Anliegen dieser Arbeit.
(Übersetzung einer gemeinsamen
Arbeit von Judy Wallersrein und Julia Lewis aus Family and Conciliation Courts
Review, Vol 36, No 3, July 1998, 368‑383., Übersetzung: M. Leuzinger‑Bohleber
u. A. Leszczynska‑Koenen, Frankfurt)